Versuchsendlager Asse
Verseuchte Salzlauge - auch Bergwerk kein Endlager
"Was immer du tust, das tue klug und sei der Folgen eingedenk", so lautet ein Sprichwort der alten Römer. Betrachtet man das Verhalten der Atomindustrie, so findet man diesen Spruch darin nicht wieder.
Ein Salzstock dient in Deutschland als Versuchsendlager, da noch immer kein endgültiges Lager gefunden wurde. Welcher Ort bietet über Jahrmillionen Schutz? Vor Wasser, Erdrutschen oder anderen Umwelteinflüssen, die eine Zerstörung der gefährlichen Fässer herbeiführen?
Fast hatte man Asse vergessen, die norddeutsche Erhebung zwischen Wolfenbüttel, Braunschweig, Helmstedt. 126 000 Fässer schwach und mittelstark strahlender Atommüll kamen zwischen 1967 (erste Einlagerung am vierten April) und 1978 in den Salzstock. Darunter befanden sich auch einige Kilo Plutonium, wie auch verbotenerweise dort eingelagerte Kernbrennstoffe.
1988 begann die Katastrophe, sickerten pro Tag mehr als zwölf Kubikmeter Salzlauge in den Raum - trotz des hunderte Meter dicken Deckgebirges, was die ganze Stabilität des Lagers gefährdet. Zudem kam das Wasser mit den Fässern in Berührung. So jedoch hat die Brühe nun Cäsium 137 in sich; teilweise wurde der Grenzwert um das Elffache überstiegen. Doch gerade der Kontakt mit Wasser sollte bei Radioaktivität vermieden werden, da diese sonst ins Grundwasser gelangen kann. Vermutlich trat die Radioaktivität aus, da einige Fässer bei der Einlagerung beschädigt wurden. Sie sind mittlerweile durchgerostet. Dass Wasser im Bergwerk war, war übrigens seit 1907 bekannt gewesen, wie eine kleine Notiz in der Presse 2010 verriet. Auch der ID, der "Informationsdienst für kritische Medienpraxis", hatte in den Siebzigern daraufhingewiesen.
Erst 2005 entdeckte man angeblich das strahlende Gewässer, zur Abhilfe wurde es einfach tiefer auf 950 Meter gepumpt. So konnte es nicht mehr heruntertropfen. Der Betreiber, das Münchener Helmholtz-Zentrum, setzte das Hannover Umweltministerium nicht darüber in Kenntnis.
Verwirrend ist ohnehin, dass sich das Lager nicht unter der Aufsicht des Bundesumweltministeriums bzw. dessen Bundesamtes für Strahlenschutz befindet. Zuständig ist das Bundeswissenschaftsministerium, das 1967 das Lager errichten ließ. An dessen Stelle kümmert sich das Zentrum Helmholtz (früher Gesellschaft für Strahlenforschung GFS, Mehrheitseigner: Bundesforschungsministerium) um das Endlager. Nachdem die katastrophale Lage jedoch an den Tag kam, wurde die Zuständigkeit ans Bundesamt für Strahlenschutz übergeben.
Doch das weit größere Problem sind Risse in der Südflanke, auf 737 Metern. In den letzten zwei Jahrzehnten verschob sich der Salzstock um sechs Meter; spätestens in acht Jahren brechen die Pfeiler. Und dann? In 685 Metern Tiefe spielt sich ein anderes Problem ab, denn dort fließen zehntausend Liter Salzlauge täglich in eine Stahlwanne. Ein weiteres Rinnsal wartet mit zweitausend Litern auf. Glücklicherweise ist diese Lauge noch nicht kontaminiert, da sich die Lecks oberhalb der Atommüllsammelstellen befinden.
(Abgeschlossene?) Strahlung im Salzstock
Als Lösung schlagen die Verantwortlichen vor, die Fässer mit mittel- bis schwachstrahlendem Atommüll (immerhin 126 000) im Bergwerk zu lassen. In den unteren Bereich gieße man einen besonderen Beton, in die Südflankenrisse Magnesiumchlorid. Dies verschlösse die Poren zwischen dem Salz.So wahnwitzig es auch klingt, den Abfall einfach einzuschließen, gibt es kaum eine Alternative. Bei der Einlagerung schüttete man die Fässer mit einem Schaufellader kreuz und quer übereinander, denn der eigenhändige Transport hätte die Arbeiter zu stark gefährdet. Wer soll sie nun herausholen?
So steht Deutschland nun vor der Wahl, die Fässer unter großer Strahlungsgefahr herauszuholen oder sie zuzuschütten. Doch ob dies die Strahlung für Jahrtausende festhält? Freilich wäre auch eine milliardenteure Stabilisierung möglich; man erinnere sich an Morsleben. Evakuierte man die Fässer, so böte sich das Endlager im nahen Salzgitter an. (Noch mal dasselbe Theater?)
Während dieser Entscheidung tobt ein Streit unter den Politikern. Man spricht vom GAU, dem "größten anzunehmenden Unfall" in der Endlagerfrage, von großen Straftaten des Helmholtz-Zentrums, das dort eigenmächtig handelte. Die Sicherheit sei nirgendwo nachgewiesen. Bereits vor der Inbetriebnahme des Salzstocks als Endlager war offenbar bekannt, dass es nicht dicht ist. Niemand weiß, welche Stoffe genau im Salzbergwerk lagern: Teils kamen Fässer ohne Listen an, teils stimmen die Listen nicht mit dem Inhalt überein. Die Hälfte des Atommülls, etwa neunzig Prozent der radioaktiven Kraft, stammt aus dem Karlsruher Forschungszentrum (früher: Kernforschungszentrum).
Zurück zu den alten Römern möchte man sich fragen, ob auch sie auf eine solche Idee gekommen wären: Man entwickle eine Technologie, kenne ihre Gefahren, gehe täglich mit ihr um, verkaufe sie dem Volk als segenbringend - ohne sich vorher die Entsorgung zu überlegen. Wenn die Deutschen in ein paar Jahrzehnten Mutationen zur Welt bringen, wissen sie, wem sie es zu verdanken haben. Aber was gehen uns unsere Nachfahren (Kinder, Enkel) an? Solange sich die Gelegenheit bietet, spielen wir Gott. Die anderen dürfen dann unsere (radioaktive) Suppe auslöffeln.
Apropos Suppe: In der stillgelegten Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe (WAK) warten noch 70 000 Liter Salpetersäure mit mindestens sechzehn Kilo Plutonium und fünfhundert Kilo Uran auf die Endlagerung. Ihre Verglasung vor dem Abtransport kostet vermutlich drei Milliarden Euro.