Sündenfall

Fortsetzung v. Wasserbömbchen, Teil II

Himmliche Freuden oder Sünde und HölleChinapfirsiche

Obzöne Früchtchen - Das geheime Objekt der Begierde

Alles Tomate!

Die Oldenburger Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Anabella Weismann erklärt das seltsame Verhältnis der kalvinistischen Holländer zur Tomate in ihrem Buch Die Niederlande und Deutschland - Einander kennen und verstehen damit, dass sie bis heute ein Problem mit der Frucht hätten. Sie sind ihnen zu sexy, und das stört. Von ihrem Aussehen her, prall, rund, sinnlich, glänzend, fleckenlos, strahlend rot, sei sie eine Erinnerung an das verlorene Paradies und eine Verlockung zu ungehemmten Sinnenfreuden, Erinnerung an ein Utopia ohne Arbeit und ohne moralische Beschränkungen. Deutsche und Niederländer
Sie schreibt: "Und dann der plötzliche Wechsel von der Augenlust zur Realisierung der Begehrlichkeit im Biss hinein - der fade, wässrige, papp-styroporartige Geschmack erinnert unmittelbar an das calvinistische Zweite Gebot, das Bilderverbot, das für Luther so unwichtig war, dass er es unter das erste subsumierte: "Du sollst Dir kein Bildnis noch Gleichnis machen ...", du sollst dir nicht in deiner Phantasie eine glückliche, lustbetonte, freudvolle Welt ohne Sorgen und Schufterei ausmalen. Du sollst nicht genießen, Genuss ist Wollust, Wollust ist Sünde, Kreaturverherrlichung, Abgötterei: "Bete sie nicht an und diene ihnen nicht ..."
Deshalb werde in den kalvinistisch geprägten Niederlanden die Tomate nicht als Objekt des Genusses, sondern als Handelsobjekt gezüchtet."

Schwarzes Zebra

Das Feuchte und das SchmutzigeFrau Weismann hat übrigens auch gut Prof. Martin Gaugers Das Feuchte und das Schmutzige, gelesen, eine kleine Linguistik der vulgären Sprache, und erklärt, warum die Holländer, unsere nächsten Verwandten, erstaunlicherweise - wie die meisten anderen Völker auch - überwiegend genital und nicht anal wie wir fluchen. Eine hochinteressante Geschichte, weil sie etwas über den Nationalcharakter aussagt, auf die Gauger aber keine Antwort gefunden hatte.
Wie auch immer: Welch ein Gegensatz zu den Österreichern, einem katholisch geprägten Land, wo die Tomaten Paradeiser heißen und eher himmliche Freuden als die Hölle versprechen!

Spanier

Größte Konkurrenten sind die Spanier, die keine teuren, heizbaren Glashäuser benötigen, sondern oft nur Plastikplanen, da das Klima wärmer ist. Allerdings scheinen die Kunden den Spaniern wegen der Spritzerei usw. weniger zu trauen. Auch die Arbeitsbedingungen in den Gewächshäusern machen immer wieder unschöne Schlagzeilen.

Liebesleben der Tomate - Sodom und Gomorrah

Schwarze Marie

Die Bestäubung erfolgt nicht über Bienen, wie man glauben könnte, denn die kriegen nach zwei, drei Anflügen die Wut, hauen ab und kehren nicht zurück. Grund: Der Paradeiser besitzt keinen Nektar. Folglich besorgen eher Hummeln und andere Kerbtierchen sowie der Wind das Geschäft.
Im Garten lässt sich die Befruchtung unterstützen, indem man die Pflanze immer wieder mal durchrüttelt. Da den Pflanzen der Papst unbekannt ist, begatten engstehende Exemplare einander wahllos, was bedeutet, dass die Frucht zwar immer sortenrein, die Kinder, so man sie von den Samen zöge, aber Mischlinge sein können, aber nicht notwendigerweise einen schlechten Charakter aufwiesen. 

Bräunfäule

Sie stammt vom Boden durch Spritzwasser, befällt Blätter, die Früchte, die ganze Pflanze und ist eine Riesenpest bei Freilandtomaten. Zumindest bremsen lässt sich der dafür verantwortliche Pilz durch Auslegen von Rasenschnitt, ausgerupftem Unkraut u.ä. weichen Fasern. Stroh wäre schon zu hart und ließe das Wasser hochspritzen. Weiterhin kann man die Blätter nach und nach abschneiden, bräunliche sofort entfernen und überhaupt die ganze Pflanze mit fortwährender Reife immer weiter auslichten. 

Dies und dasSchwarze Mari

An den Samenständen von Supermärkten findet man übrigens immer wieder eine, die da "Moneymaker" heißt. Die muss aus Amerika stammen. Kann man so was verzehren, ohne das Würgen zu kriegen? Eine andere Pflaumentomate heißt "Dasher" und signalisiert der angelsächsischen Welt vermutlich, das sie irrsinnig schnell wächst und somit früh Früchte trägt (to dash = rennen, sausen).
Apropos "grün": Zeigen Tomaten am Stilansatz gründe Stellen oder auch in Flecken oder Schlieren auf der Frucht selbst, so zeugt das von Qualität, denn das dafür verantwortliche Gen sorgt auch für einen guten Teil des Geschmacks. Da der Kunde aber eben "tadellose" Früchte erwartet, kriegt er die, ohne Grün, ohne Geschmack. Voilà, selbst dran schuld.

Weiterer Teil: Industrietomaten, Teil I
Weiterer Teil: Wasserbömbchen, Teil II

-----------

Bilder:
Auf den Vorseiten:
Ananastomate von Bauernmarkt Freiburg, Bauer aus Eichstetten, Kaiserstuhl, 680 gr., etwas über 3 €. Schwierige Zucht, nur höchstens fünf Früchte an einer Pflanze. Verfügbar nur für Staatschefs, Könige, Prinzessinen und andere hochgestellte Persönlichkeiten wie Schreiber dieses, der auch einige Samen besitzt und sie Leuten, die hier etwas Substantielles beizutragen hätten, schenken würde. Knubbelig, zu sexy, zu groß, und unregelmäßig, dünne Haut, völlig handelskettenunfähig.
Auf dieser Seite:
Black Zebra, hübsch, 7 € das Kilo, eher Schein als Sein, ledrig, hart, zäh. Man muss richtig drauf kauen. Eher Dekor für den Salat als zum Verzehr.
Schwarze Marie, die beiden letzten, große Fleischtomate vom Markt. Handelspolitisch völlig inkorrekt.

Chinesen verkaufen ihre Pfirsiche wesentlich unbefangener und reduzieren alles auf den Kern des Lebens, wie man sieht.
Ansonsten: Tomatensamen diverser guter und samenfester Sorten gibt´s hier.
Platz für ein paar Pflänzle gibt´s allemal im Vorgarten.