Fortsetzung v. Industrietomaten, Teil I
Holländische Wasserbomben
Fischwasser statt Frischwasser
Vor zwei Jahrzehnten gab es eine Riesenschelte über die „Holland-Tomate“, beschimpft als vierter Aggregatzustand von Wasser oder schnittfestes Wasser, aber die Holländer haben reagiert. Nachdem zwischen 1990 und 1994 die Ausfuhr nach Deutschland um fast die Hälfte eingebrochen war, rief die holländische Agrarwirtschaft unter dem Motto "Ackern für Deutschland" eine Werbekampagne mit einem Riesenbudget ins Leben.
Zunächst wurde die sogenannte Rispentomate (Staudentomate) vermarktet. Die meisten Tomaten wachsen nicht in Rispenform, und die Form sagt natürlich auch gar nichts über Geschmack und Qualität aus. Aber es war etwas Neues, die Kunden waren es zufrieden und monierten auch nicht, dass sie so auch eine dickwandige Frucht von fast einem halben Zentimeter bekamen, die eben besser transport- und lagerfähig ist. Das alte holländische Einheitsmodell besaß zwar eine feste, aber immerhin dünne Pelle. Ähnlich verhält es sich übrigens mit der Flaschentomate, die allein deshalb schon deshalb Vorschusslorbeeren erhielt, weil sie aus Italien stamme. Nun, die Italierner verbraten dieses dickwandige Gewächs, das geschmacklich nichts Besonderes auf Lager hat, ein Langweiler ist, überwiegend in Konserven und Pürrée oder Paste, billiges Massenzeugs eben.
Moderne Zeiten - Geleckt, glatt und steril
Mittlerweise werde in Holland auf mehr Geschmack und Vielfalt gesetzt, behaupten die Niederländer: Rote, gelbe und pinkfarbene, Fleischtomaten, Naschtomaten, Kirschtomaten (Cocktailtomaten), Strauchtomaten usw. So finden sich also "Amoroso", "Mona Lisa" jene, "Macarena", "Tasty Tom" – oder auch 72-163 RZ, die ausnahmsweise ein echter Kracher von Kirschtomate zu sein scheint. Rot-schwarze sind augenblicklich im Kommen, grüne tun sich schwer, da sie hierzulande immer mit Unreife verbunden werden. Aber das alles ist zunächst mal häufig nur Optik, denn es gilt weiterhin: Sonne, Luft, Natur, Erde, einen Regenwurm, sucht man in den Gewächshäusern vergebens. Die Pflanzen gedeihen auf Steinwollehäufchen und werden per Zeitschaltuhr mit Nährlösung, Luft und Licht versorgt. Ja, selbst das Wasser ist nicht mehr, was es mal war, denn in den Gewächshäusern gibt es statt Frischwasser nur noch Fischjauche, Abwässer aus Fischzuchtbetrieben, da es sehr mineralienreich ist und man sich so zusätzliche Nährstoffe erspart. Die Mineralien, die beim ganzen Tomatenanbau Einsatz finden, sind großteils Salze, so dass die Früchte auch entsprechend wasserhaltig sind.
Beim Ausschneiden der üblichen Industriewunderwerke läuft im Gegensatz zu "richtigen" Tomaten sofort immer Fruchtwasser aufs Brettchen.
Den Holländern scheinen die eigenen Tomaten allerdings wenig zu munden, denn sie verzehren nur 4,2 kg, während wir es mit 8,8 kg auf über das Doppelte bringen. Seltsam, seltsam ...
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Fortsetzung v. Industrietomaten, Teil I
Weiterer Teil: Sündenfall, Teil III
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Bilder u. Samenbezug s. Teil III
In Holland käme obiges Prachtexemplar nach Häutung, Vierteilung und Räderung auf den Scheiterhaufen. Warum erfährt man im dritten Teil