Rinder- und Sprachmüll

Alter Wein in neuen Schläuchen

Stück für Stück ein Genuss. Trockengereiftes * Rindfleisch

... so bewirbt Rewe seit längerem sein "Dry Aged Beef". Jeweils eine halbe Seite einer ganzseitigen. Auf der unteren Hälfte befinden sich dann diverse Lebensmittel. Die Handelskette geht - zurecht? - davon aus, dass das, was sie anpreist, unbekannt ist, folglich erst "erlernt" werden müsse und stellt die Frage: "Was ist Dry Aged Beef? Dazu liefert sie gleich die Antwort wie obenstehend: "Stück für Stück ein Genuss".Dry Age
Zur Erläuterung wird angegeben: Rindfleisch könne nicht gleich nach der Schlachtung verzehrt, sondern müsse abgehangen sein und reifen können, um zart zu werden und gut zu schmecken, eigentlich eine Banalität.
Dies werde durch das sogenannte "Dry Aging" erreicht. Heutzutage sei die Nassreifung übliche Praxis, also per Vakuumverpackung im Plastiksack und unter Vermeidung von Flüssigkeitsverlust.
"Beim "Dry Aging", der weltweit älteren Reifungsmethode, wird das Rindfleisch dagegen noch am Knochen für ** mindestens fünf Wochen nahe dem Gefrierpunkt im Kühlhaus gelagert. Hierbei verliert das Fleisch durch die Verdunstung an Substanz, gewinnt aber an Zartheit und Geschmacksintensität", heißt es.

Die Kritik geht in zwei Richtungen:

  • die quasi "sensationelle" neue, aber tatsächlich "alte", traditionelle Reifung
  • den Sprachmüll, die unsinnige Umettikettierung von Bekanntem durch englische Wortprägungen

Tradion in neuem Gewand

Zum ersten Punkt:
Das seit Jahrhunderten übliche, das normale und sicherlich in vielen Ländern gängige Verfahren wird hier unter einem englischen Begriff als etwas Besonderes dargestellt, was es nicht ist. Sicherlich gab es wenige Stellen auf der Welt, wo "mindestens fünf Wochen nahe dem Gefrierpunkt" Fleisch abgehangen wurde, aber immer wurde es das, wenn auch kürzer und bei höheren Temperaturen, und man ließ die Milchsäurebakterien - denn auf die kommt es an - ihre Arbeit tun. Die sorgen dafür, dass keine zähe Schuhsohle sondern ein butterweiches Steak auf den Tisch kommt. Die Oma kannte nichts anderes.
Es dürfte klar sein, das die althergebrachte Art der Reifung wegen der Kosten für Lagerraum und Kühlung wesentlich teurer ist als heutige Verfahren mit der "Nassreifung", zumal Gewichts- und Volumenverlust entstehen. Das Fleischstück ist geschrumpft. Die Hausfrau guckt entsetzt wegen des kleinen Stücks im Verhältnis zum Preis.

Sprachmüll

Zum zweiten Punkt

  • eine Binsenweisheit wird in ein neues sprachliches Gewand gekleidet, was es aufwerten soll, ein revolutionäres Verfahren, sozusagen, geadelt durch die Einführung eines englischen Begriffs. Die altbekannte Trockenreifung wird zum "Dry Age"-Verfahren, etwas Besonderem. Der Kunde lernt etwas und wird nun auch teil der internationalen Dry-Ager-Gemeinde (wahrscheinlich identisch mit der Sushi-Bande).
    Sinn dahinter: Das Fleisch lässt sich besser und teuer verkaufen, erhält das Etikett von Tradition und Handwerk. Woher das "sogenannte Dry Aging" kommt, bleibt im Dunkeln. Wer nennt es so und versucht, diesen Begriff, als begehrenswert bekanntzumachen, wenn nicht gewiefte Marketingleute? Mag ja sein, dass Engländer und Amis gut und herkömmlich abgehangenes Fleisch so bezeichnen, aber was geht uns das an? Rewe zieht so eine kaufkräftigere Klientel ins Geschäft; die Leute wissen: Hier gibt´s was Edles.

Fazit: Trockenreifung immer, für alle, weg mit dem Turbo-Nassmüll! Aber schon geht´s weiter, beim Wein nämlich ...
Rewe fiel kürzlich mit einer weiterer Anzeige auf, wo das Hohelied des Handwerks besungen wurde. Clou der Geschichte: Hände sind nicht zu sehen. Sie wurden "abgeschnitten", die "Handwerker" somit kastriert.

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* Die schreiben es auch noch in Auseinanderschreibung: "trocken gereiftes", wobei mancher ja schier tot umfallen könnte, handelt es sich doch um kein trockenes Fleisch, das dann noch gereift ist, sondern eins, das "trocken", an der Luft, reifte. Da kann einer ggf. mit neuer Rechtschreibung daherkommen, wie er will. Einen derartigen Blödsinn kann man nicht schreiben.
** "für" ist auch kein Deutsch, sondern ein Anglizismus, "for five years", auf Deutsch schlicht: "fünf Jahre (lang)

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