Pizza - Turboteutonenfraß
Belegtes, warmes Brot in 84 Sekunden
Will man das wirklich?
Was früher die Currywust mit Pommes war, ist heute die Pizza - DAS Gericht der Deutschen, aber wollen wir sie nicht ganz schlecht machen, denn man kann sie immerhin fix zuzubereiten, sie stopft und sättigt. So manche ratlose und gestresste Mutter kann den Nachwuchs rasch ruhigstellen, denn Kindern sind sie komischerweise stets eine Freude. Rund 800 Mill. Pizzen werden jährlich bei uns verkauft, weil "es schnell geht" und sie relativ billig sind. Die Deutschen futtern mit zehn Stück mehr davon als Amis und Italiener: Letzere bringen es nur auf 1,5 Pizzen jährlich.
Frisch beim Italiener sind sie zu rund 10 € zu haben, tiefgekühlt zu einem Viertel des Preises. Quellen in Internet verkünden einen Tiefpreis von 83 Ct. im Supermarkt.
Früher gänzlich unbekannt erhielten sie den Hauch des Exotischen, aber heute sind sie Massenware. Etwa 13 deutsche Hersteller und Discounter mit eigener Herstellung teilen sich fast den gesamten Markt bei uns. Reduziert man Pizzen auf ihren Kern, so sind sie allerdings nichts weiter als belegte, warme Brote und letztlich dann auch wieder nicht soooo billig.
Die weltgrößte Pizzafabrik, Umsatz 420 Mill. mit Pizzen allein (daneben noch weitere Teigerzeugnisse), die in Berlin das ganze Märkische Viertel duften lässt, ist Freiberger.
Ausstoß: Zwei Millionen. Täglich! Lieferung unter Eigenmarken oder denen diverser Handelsketten, also immer in anderem Gewand, auch ins Ausland und auf ferne Kontinente, selbst nach Asien und in die Vereinigten Staaten. Die Angaben auf der Verpackung geben Aufschluss. Tausend Pizzasorten umfasst das Sortiment, werden in die ganze Welt verschickt und sorgen allenthalben für Glücksgefühle. Rund 5000 t Käse, der nicht mehr aus Bayern sondern Sachsen stammt, wird jährlich verarbeitet, obenauf der Mozarella aus Dänemark, 20.000 Kühe arbeiten für Freiberger nebst 800 Mann Personal.
Entstanden ist die Fabrik aus einer konkursreifen Bäckerei in den Siebzigern in der ehemaligen Bolle-Meierei, wo einst die Milch der Berliner Kühe verarbeitet wurde. Immerhin wurden 2006 noch 120 Exemplare im Stadtgebiet gehalten.
Interkulturelle Gemische
Freiberger verarbeitet 250 t Mehl täglich, streicht den Tomatenschlabber drauf, friert die Fladen eine halbe Stunde bei minus 40 Grad tief ein, lagert sie bis zu einem halben Jahr und ruft sie nach Bedarf ab, um den Belag draufzupacken und das Werk zu krönen. Bei allen Kunden können Rezeptur und Verpackung nach ihren Vorgaben anders ausfallen, denn die großen Handelsketten verlangen ein nach Aussehen und Verpackung abgestimmtes Produkt entsprechend ihrer Firmenphilophie bzw. den Verbrauchern.
Klassiker bei uns mit Abstand ist die Steinofen-Salami-Pizza. Darauf kommt eine Weile gar nichts, dann folgt Salami-Schinken. Danach wieder eine Weile nichts, schließlich kommen die anderen Sorten.
Die Briten kriegen u.a. "Sweet Chili Chicken", hierzulande noch nicht gesichtet, sowie poppige Farben (wer mal die Bettwäsche in einem engl. Schlafzimmer gesehen hat und sich mit Kitsch in Lila, Rosa etc. auskennt, dem wird was hochkommen). Die Franzosen haben´s überhaupt nicht mit Salami, sondern verlangen nach einer Drei-Käse-Pizza.
Auch die Amis kriegen, wonach ihnen der Sinn steht und was sie gutteils immer auf Vorrat am Leibe tragen: Fett. Also dicke Dinger mit höherem Boden und mit Extra-Käse.
Gebacken wird in Europa, Asien und den USA.
Zu der Deutschen liebsten Belag, dem mit Salami, gibt´s einen eigenen Artikel.
Masse ist Klasse
Die Tiefkühlpizza ist Massenware. Eine weitgehende Automatisierung und die Vermeidung von Fehlern und Abweichungen ermöglicht Tiefpreise, grade in Deutschland. In anderen Ländern ist sie durchaus teurer, in Frankreich, Italien und England, denn laut Helmut Morent, Geschäftsführer bei Freiberger, geben Deutsche lieber dort Geld aus, wo man´s sehen kann.
Die Neapolitaner behaupten, die Pizza vor 130 Jahren erfunden zu haben, was nicht stimmt, denn schon die Griechen kannten sie. Aber was wäre bei einem belegten Brot auch großartig zu erfinden?
Lellos Sorace von der "Vereinigung der wahren neapolitanischen Pizza" und Inhaber der Pizzeri Matozzi, lobt seinen lockeren, luftigen Teig. So 28-32 cm messen seine Pizzen-Margherita. Zutaten: Teig, Tomaten, Mozzarella, Basilikum, also alles in den Farben der italienischen Flagge, Öl, und eine Minute ab in den Ofen. Aber reißt es das raus? Schon beim Gedanken an die Büffelmozarella, Mozarella di bufola, von Tieren aus der Umgebung, können allen mit gutem Gedächtnis der Appetit vergehen, denn die ganze Landschaft um Neapel herum, ja ganz Kampanien, steckt voller von der Mafia angelegter Giftmülldeponien, so dass es mal - immer wieder - ein ziemliches Aufsehen wegen Dioxinverseuchung gab. Einer der von der Camorra abhängigen Mozarella-Könige, Mandara, aus Casal di Principe, der Hochburg der Mozarellaproduktion, verschwand immerhin im Gefängnis. Was ist mit den anderen? Aufgefallen war der Käse, weil er bläulich anlief, nicht weil die Italierner ihn untersucht hätten.
Wie auch immer: Wer sich nun zu der Pizza von Wagner retten will, der wisse, dass der Laden einem aus dem Schwäbischen stammenden Herrn Nestle gehört, der in die Schweiz auswanderte und sich fortan "Nestlé" nannte, weil das vermutlich schicker klingt. Und der kämpft sogar darum, uns das Leitungswasser in Flaschen verkaufen zu dürfen. Wasser soll nicht mehr ein Menschrecht sein sondern ein Nahrungsmittel wie andere auch, sagt Peter Brabeck, ex-Nestlé-Chef im Film "Bottled Life" ...
Jürgen Stellpflug von Öko-Test, der mal bei Dr. Oetker mit seinen "Ristorante"-Pizzen mal wegen Fett- und Salzgehalts nachfragte, wurde beschieden:
"Im Rahmen einer vielseitigen und ausgewogenen Ernährung ist ein moderater Pizza-Genuss auch bei dem gegebenen Salz- und Fettgehalt als unbedenklich einzustufen."
Freiberger äußert sich freimütig: Salz- und Fettgehalt seien die Entscheidung des Verbrauchers.
Peng, und guten Appetit !
Eine richtig gute, würzig Pizza haben wir hier gefunden. Gut für alle, die mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen hätten und für Peter Brabeck.